Pendelmigration: Wohnen und Arbeiten in zwei Ländern

Ein Gespräch mit der Betreuerin Gabriella aus Rumänien

Gabriella (38) und Edith (77) wohnen in einem kleinen Dorf im Kanton Aargau. Gabriella kommt aus Rumänien und lebt während drei Monaten mit Edith, die an Demenz erkrankt ist. Gabriella betreut sie in ihrem Alltag. Die Vermittlung erfolgte durch Caritas. Nach drei Monaten kehrt Gabriella wieder in ihre Heimat zurück und eine andere Betreuerin aus Rumänien kommt in die Schweiz, um sich um Edith zu kümmern.

Als ich eintrete höre ich, wie Edith im oberen Stock Flöte spielt. «Ich komme gleich», ruft sie zu uns runter. Gabriella bereitet in der Zwischenzeit einen Kaffee für sie vor. Ich merke gleich, dass die Chemie zwischen den beiden stimmt. Zu dritt sitzen wir in der gemütlichen Küche und starten unser Gespräch.

Wie bist du, Gabriella, dazu gekommen Betreuerin für die Caritas zu werden und in die Schweiz zu reisen?

Eigentlich ist mein beruflicher Hintergrund ein anderer. Ich habe Soziologie studiert und hatte die Möglichkeit bei einem Forschungsprojekt über Arbeitsmigration mitzuarbeiten. Dafür habe ich unzählige Interviews geführt. Eine der Interviewpartnerinnen arbeitet bei der Caritas-Organisation in Rumänien namens «Caritas Alba Iulia».

Sie koordiniert die Arbeitseinsätze von Betreuungspersonen aus Rumänien, die in die Schweiz reisen, um dort ältere Menschen zu betreuen. So habe ich vom Projekt erfahren und mir anschliessend Gedanken gemacht, ob das auch für mich in Frage kommt. Ich hatte davor bereits in Österreich und Deutschland gearbeitet und kannte die Sprache.

Was war deine Motivation selbst als Betreuerin zu arbeiten und in diesem Pendelmodel (drei Monate in der Schweiz, drei Monate in Rumänien) zu leben?

Ich habe zuhause in Rumänien ein aktives Leben. Trotzdem habe ich gespürt, dass ich mich nicht weiterentwickle. Ich wollte wachsen. So kam ich auf die Idee in einem deutschsprachigen Land zu arbeiten, neuen Einflüssen zu begegnen und meine Deutschkenntnisse zu verbessern. Ich habe mir diesen Schritt gut überlegt. Natürlich spielt auch die finanzielle Komponente eine Rolle. Mit dem Geld, das ich als Betreuerin in der Schweiz verdiene, konnte ich die Hypothek meiner Wohnung abbezahlen.

«Meine persönliche Weiterentwicklung war es, die mich zu dieser Arbeit motiviert hat.»GABRIELLA F.CARITAS-BETREUERIN AUS RUMÄNIEN

Was machst du in den drei Monaten, in denen du zuhause bist?

In Rumänien organisiere ich Kunstveranstaltungen, Kurse und Events. Ich bin also im kulturellen Bereich tätig. Stundenweise arbeite ich auch in einem Altersheim von Caritas Alba Iulia.

Es scheint mir, als ob du und Edith viele Gemeinsamkeiten habt. Ihr seid beide musisch veranlagt.

Ja, das stimmt. Wir verstehen uns gut und sind auf der gleichen Wellenlänge. Edith mag Musik und malt sehr gerne. Ich singe seit 10 Jahren in einem Chor und konnte Edith dafür begeistern, dass wir zusammen in einem Chor singen. Sowieso sind unsere Wochen sehr abwechslungsreich. Wir haben viel Besuch, werden eingeladen oder machen einen Ausflug. Edith hat viele Verwandte und gute Bekannte. Wenn wir Besuch haben, habe ich ein paar zusätzliche Stunden für mich.

Fehlt dir nicht der soziale Austausch mit deinen Freundinnen und Freunden?

Ich telefoniere ab und zu mit ihnen. Zudem bin ich in der Familie von Edith sehr gut eingebunden und tausche mich mit ihnen regelmässig aus. Diese Gespräche tun mir gut. Die Familienmitglieder haben früher allein für Edith gesorgt und kennen meine Arbeit deshalb sehr gut. Ich habe viel von Ediths Familie gelernt und kann mich mit ihnen austauschen, wenn ich eine Frage habe.

Dadurch, dass sie so nahe wohnen – eine Tochter wohnt im gleichen Haus und ein Sohn im gleichen Dorf – sind sie auch immer in der Nähe und besuchen uns regelmässig. Diese Unterstützung der Angehörigen ist mir sehr wichtig. Zudem habe ich Ansprechpersonen sowohl bei Caritas Schweiz als auch bei der Caritas Alba Iulia in Rumänien, mit denen ich mich austauschen kann, falls etwas ist.

Gibt es herausfordernde und schwierige Momente bei deiner Arbeit?

Es ist manchmal schwierig das Gleichgewicht zu finden. Wie viel soll ich helfen, begleiten oder einfach nur da sein? Das ist eine ständige Frage, weil die Antwort von der Tagesform abhängt. Es braucht viel Beobachtung, Aufmerksamkeit, Empathie und Liebe. Ich lese gerade das Buch «Ich habe Alzheimer: Wie die Krankheit sich anfühlt» von Stella Braam und René van Neer, indem sie Betreuungspersonen von Menschen mit Alzheimer oder Demenz als Reisebegleiter bezeichnen. Ich finde das ein sehr passendes Bild. Mir gibt es Zufriedenheit eine gute Reiseleiterin zu sein.

Was sind die Sonnenseiten in deinem Alltag?

Die besten Tage sind jene, mit einem guten Rhythmus, wenn Freundinnen und Freunde auf Besuch sind, etwas läuft, aber nicht zu viel. Ich finde es schön, wenn sich die Persönlichkeit von Edith zeigt. Meistens ist das beim Malen, Musizieren oder beim Tanzen der Fall. Wir haben einmal an einem Morgen spontan zusammen getanzt – das war seltsam und befreiend zugleich!

An welchen Momenten wächst du?

Es gibt Situationen, in denen ich ratlos bin, weil ich nicht weiss, wie ich Edith beruhigen kann. Rückblickend merke ich, dass ich in solchen Momenten ungeduldig war, weil ich vielleicht zu wenig geschlafen habe, zu wenig Zeit für mich hatte oder sonst unzufrieden war. Diese Momente sind jedoch spannend und wichtig für mich. Denn sie helfen mir, mich weiterzuentwickeln. Diese persönliche Weiterentwicklung war es schliesslich, die mich zu dieser Arbeit motiviert hat.

Welche Pläne hast du für deine Zukunft?

Ich lasse es auf mich zukommen. Bewegung, Sport und Natur sind mir sehr wichtig. Ich glaube, das wird in meinem Leben immer einer Rolle spielen. Ich kann mir vorstellen eine eigene Familie zu haben. Diese Arbeit als Betreuerin finde ich eine gute Übung dafür. Ich bin grundsätzlich mit meiner aktuellen Lebenssituation zufrieden. Gleichzeitig möchte ich mich in meinem Beruf weiterentwickeln und noch Vieles ausprobieren.

Wie siehst du deiner Rückkehr nach Rumänien entgegen, die in einem Monat ansteht?

Dazu habe ich gemischte Gefühle. Es war beim letzten Mal schwierig, Abschied zu nehmen. Gleichzeitig freue ich mich auf Zuhause. Es wartet Arbeit auf mich, da wir im Juli ein Festival mit klassischer Musik planen. Die Organisation ist jedes Jahr eine grosse Herausforderung und gleichzeitig mit einer grossen Genugtuung verbunden, sofern alles nach Plan läuft.

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